Teil V: Praxis
Im nächsten und letzten Teil dieser Arbeit möchte ich Beispiele einer möglichen Praxis vorstellen. Dies umfasst die Bereiche Spieleentwicklung, als auch Aspekte die mit der Bergung, Archivierung und dem Erhalt unserer digitalen Kulturgüter zusammenhängen.
Kurzübersicht
Auf Grund der Bedeutung welche ich dem leider sehr spät entdeckten Projekt „Hullcraft“ (Stand Januar 2015) und dem schwindenden Zeitfenster habe mich entschieden die Übersicht zu den anderen Projekten kurz zu halten. Wie im ersten Teil der Arbeit bereits erwähnt, umfasst die Demokratisierung der Produktionsmittel auch die Möglichkeit selbst Spiele zu realisieren. Indiegames bezeichnet man die Produkte unabhängiger Entwickler und Hobbyprogrammierer. Entstanden aus dem Bedürfnis nach kreativeren Spielen, abseits der Mainstream Klischees, entwickelte sich dieser Bereich in den letzten Jahren unterhalb des Radars großer Spielefirmen. Mittels Crowdfunding[1] können sich Entwickler direkt an die Konsumenten wenden und ihre Ideen mittels Vorfinanzierung (bei hoher Resonanz) umsetzen. Die Unterstützer erhalten wiederum Einblick in den Entstehungsprozess, erhalten das Produkt günstiger oder Partizipieren an einem Exklusivprodukt. In erster Linie richtet es sich natürlich an einen kleinen Kreis von Enthusiasten, was aber bereits ausreicht um kleiner Entwicklungen zu finanzieren. Ebenso interessant ist die Nutzung von Computerspielen als Träger und Bewahrer eines kulturellen Erbes. Ein sehr schönes Beispiel ist das Projekt „Never Alone“. „Never Alone“ (Kisima Ingitchuna) wurde in Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung Alaskas entwickelt und taucht tief in die traditionelle Folklore des Iñupiat Volkes der Arktis ein[2].
Praxisbeispiel: „Hullcraft“
Das Projekt „Hullcraft“ (www.hullcraft.com ) wurde von der University of Hull und dem Hull History Center ins Leben gerufen. Es handelt sich zwar nicht um die Initiative eines archäologischen Fachbereichs, dennoch veranschaulicht dieses Projekt sehr gut, wie man die Nutzer eines populären Open World Spiels, in diesem Falle „”Minecraft”“, aktiv an der Rekonstruktion von Geschichte beteiligen kann.
Der über die Region Yorkshire hinaus tätige Architekt Francis Johnson (1911-1995) hat seine Pläne und Skizzen dem Archiv[3] der Universität Hull bzw. dem Hull History Center (www.hullhistorycentre.org.uk ) zur Verfügung gestellt. Das Archiv enthält zahlreiche Pläne nicht realisierter oder zerstörter Gebäude, von welchen einige im Zusammenhang mit dem „Hullcraft“[4] Projekt online angeboten werden. Im Rahmen der lokalen Besuchertage ist die Idee entstanden und konnte anschließend finanziert (Mills 2014c) und realisiert werden.[5]
“We wanted to look at the gamification of learning and use this as a model of engagement for people to get involved in buildings and objects of significance in the region whilst having fun and using a medium that they are comfortable working .”
(Mills, 2014c)
“Minecraft” ist ein „open world sandbox“ Spiel was komplett auf narrative Elemente verzichtet. Die Spieler können entweder online oder lokal, alleine oder mit anderen, ein virtuelles Areal, bestehend aus den unterschiedlichsten Arten von Objekten (in Form quadratischer Blöcke), nach eigenen Wünschen umformen und gestalten.
”Minecraft” gehört zu den bekanntesten und populärsten Spielen dieser Art.[6]
Ähnlich wie bei „Lego“ gibt es auch hier kaum etwas das nicht durch die Mittel der Bausteine umgesetzt und modelliert werden kann. In “Minecraft” können komplexe Gebäude ebenso wie Maschinen erschaffen werden. All dies wird durch das Erforschen und Kombinieren verschiedener Materialien und der daraus resultierenden Fähigkeit zur Herstellung von Werkzeugen ermöglicht. Das Spiel definiert sich durch seine Objekte, deren Bedeutung und den daraus abgeleiteten möglichen Beziehungen zueinander. Jeder der über die entsprechende Infrastruktur verfügt kann eine eigene ”Minecraft“-Welt betreiben die jederzeit online erreichbar ist und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.
Die Begeisterung die viele Menschen bei der Nachmodellierung realer Landschaften und Gebäude in ”Minecraft” verspüren hat sich das Projekt „Hullcraft“ u.a. zu nutze gemacht. „Hullcraft“ verfügt über ein eigenes Fortschritts- und Belohnungssystem (Mills 2014a) welches hier nicht im Detail vorgestellt werden soll. Spieler können ihre Ergebnisse präsentieren und sich mit anderen darüber austauschen oder gemeinsam Gebäude errichten. Den Ausgangspunkt für den Spieler, nachdem man mit dem Server verbunden ist, stellt die Nachbildung des Hull History Center (HHC) dar. Hier erhält der Spieler die Pläne der Gebäude, bekommt einen Bauplatz zugewiesen und kann mit der Arbeit beginnen. Der eigene Bauplatz als auch die Areale von anderen Spielern sind über Eingänge im virtuellen HHC zu erreichen.Dieses Projekt demonstriert das Potential von Open World Spielen als Lern und Lehrumgebung (Mills 2014b), als Forschungsumgebung und als Instrument zur Generierung von öffentlichem Interesse und Partizipation. Es ist gelungen, die Öffentlichkeit im Allgemeinen, und jugendliche im Besonderen anzusprechen, und dies durch Verwendung eines populären Computerspiels.
Die Aspekte die mir wichtig erscheinen möchte ich folgend kurz zusammenfassen:
- Ganz im Sinne von „Open Data“ wurden Teile des Archivmaterials nach der erfolgten Digitalisierung einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
- Über die Internetseite des Projekts findet ein moderierter Austausch statt.
- Unter Berücksichtigung und Nutzung der spezifischen Möglichkeiten eines populären Spiels wurde ein virtueller Raum geschaffen, der neue Wege einer
- aktiven Einbindung und Nutzung des kreativen Potentials von Spielern, und
- einen Beitrag zur Regionalgeschichte darstellt, welcher gerade Gelegenheits- oder Nicht-Spielern eine Reise in die Welt der Architektur des Francis Johnson, ganz im Sinne einer virtuellen Bildungsreise, ermöglicht.
- Es handelt sich um eine Erweiterung des etablierten (pädagogischen) Angebots.
- Der Mehrwert gegenüber den z.B. in „The Elder Scrolls V: Skyrim“ implementierten historischen Modifikationen seitens der Community liegt in der Einbettung des Projekts in ein institutionell, wissenschaftlich-pädagogisches Umfeld und dem konkreten regionalen und kulturgeschichtlichen Bezug.
- Auch handelt es sich um eine Form von „Citizen Science“ (Silvertown 2009) und wirkt somit der Hierarchisierung von Wissen und Information entgegen. Die anschließende Verwendung der Ergebnisse als möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Forschung belegt den Nutzen für beide Seiten (Vgl. Colby 2008 bzw. Rice 2014).
- Es handelt es sich um die Übertragung einer spezifischen medialen Form von geborgenem und archivierten Wissens welches transferiert wird in ein neues Archiv, bzw. ein neues Trägermedium, welches eine eigene, andere spezifische Medialität und Beschaffenheit besitzt.
“Minecraft” eignet sich als Werkzeug zur Visualisierung von Datenbeständen verschiedener Art und wird zunehmend von Wissenschaftlern[7] oder von Institutionen[8] eingesetzt. Das mag daran liegen, dass ein Kernelement von “Minecraft” der ist, eine Lehr- und Lernumgebung zu sein. „”Minecraft”“ ist ein Editor, ein Tool, ein Baukasten, ein Computerprogramm welches seine Herkunft nicht verleugnet und die Struktur und Logik eines Computers perfekt abbildet. Andere Spiele versuchen ihr algorithmisches Wesen zu verschleiern, „”Minecraft”“ erklärt das „algorithmisieren“ selbst zum Spiel.
Ähnliche Projekte wären ohne weiteres in einem archäologischen Kontext realisier- und vorstellbar. Computerspielarchäologie bedeutet, sich aktiv an der Entwicklung von Konzepten zur Rekonstruktion von Geschichte und deren Realisation zu beteiligen. Das umfasst das Bereitstellen und die Nutzung virtueller, dem Fach Rechnung tragender und spielmechanisch sinnvoller Lehr- und Lernumgebungen, als auch der Zugang zu Archivmaterial unter Einbindung der Öffentlichkeit.
Das spielerische Ergründen der virtuellen Materialität heißt, die Bedeutung der gefundenen Objekte, der
archäologischen Artefakte, zu verstehen. Wie wurden sie hergestellt, welche Eigenschaften haben die verschiedenen Materialien und wie werden diese genutzt? Klassische archäologische Fragestellungen sind ideal in dieser Umgebung realisierbar. Der Aufbau einer virtuellen keltischen Siedlung oder die Rekonstruktion eines mittelalterlichen Stadtbildes unter Berücksichtigung der historischen Möglichkeiten – alles ist denkbar. Ein Vortrag der sich mit dem Thema einer archäologischen Nutzbarkeit der „”Minecraft”“ Umgebung beschäftigt und Rekonstruktionen vorgestellt hat, war im September 2014 im Rahmen der European Researchers Night in York zu hören.[9] Auch Shawn Graham beschäftigt sich auf seinem Blog „Electric Archaeology“ u.a. mit der Erstellung historischer Topographien in “Minecraft” (Graham 2014).
Das Projekt „Hullcraft“ eignet sich besonders auf Grund der Verwendung von Archivmaterial bzw. der stattfindenden Übertragung von einem alten Wissensspeicher auf ein neues Medium von theoretischem wie praktischem Interesse für die Archäologie. Die Geschichte der Archäologie ist, um auf Knut Ebeling zurückzukommen, untrennbar mit den Medien bzw. deren Nutzung verbunden. Es sind die Prozesse der Wissensaneignung und Archivierung, die Zugänglichkeit von Informationen und die Einbeziehung der Öffentlichkeit, deren Reaktion auf – und Umgang mit möglichen Rekonstruktionen von Vergangenheit selbst, die im Rahmen eines solchen Projekts beobachtet werden können (vgl. Ebeling 2004 S. 22).
Sind die Fundstücke einmal dem Boden, ihrem ursprünglichen Lagerungszustand (Oder Speicherort) entrissen, bleiben nur noch die Artefakte als Reste dieses Zustandes und die Medien mit deren Hilfe die Archäologie versucht alles so genau wie möglich zu Dokumentieren und zu bewahren. Diese Transformation geschieht durch die Nutzung einer anderen Medienform, mit deren Anwendung wird automatisch ein neuer Wissensspeicher, ein Medium erschaffen. Das können Zeichnungen, Fotos, Abgüsse oder Beschreibungen sein. Aber auch die Erfassung von Objekten und deren Umfeld mittels Umgebungsscannern, welches wiederum ganz spezifische Daten Produziert die am Computer oder unter Verwendung von Virtual-Reality Ausgabegeräten ihr ganzes Wissen zugänglich machen. Der Erhalt für die Nachwelt erfordert es neue Objekte zu erschaffen und die „…Fundstücke im Moment ihrer Bergung medial zu ersetzen…“ (Ebeling 2004, S.16).
Die Verwendung von Archivmaterial zur Rekonstruktion und der Vorgang eines Transfers in die Welt von ”Minecraft”, als Beispiel für das Trägermedium Computerspiel, ist also eigentlich nichts Neues für die Archäologie. Auch die Tatsache, dass die Archäologie es gewohnt ist, auf Grundlage von Medien die sie selbst erschaffen hat, Forschung zu betreiben zeigt das die Erkenntnisse die aus virtuellen Umgebungen gewonnen werden können keinen Bruch mit gängigen Arbeitsweisen darstellen.
Auch wird die Ansicht vertreten, man solle bereits die Artefakte selbst als Medium betrachten, da in diesem vergangene Ideen und deren Bedeutung bereits in codierter Form vorlägen.[10] Von da ist es nicht mehr weit, den Archäologen als eine Art Hacker[11] zu betrachten. Unser Denken, dass Verstehen und Interpretieren, trägt immer die jeweils herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich. Allerding weist Veit auch auf die Unzulänglichkeiten hin, nämlich das es sich um Objekte handelt die nicht zu Zwecken der Kommunikation (Veit 2003, S.12) hergestellt wurden. Was sicherlich auch wieder nicht pauschal behauptet werden kann. Monumente oder Grabanlagen z.B. sollen Zeugnis ablegen oder können Botschaften an die Götter sein. Das Einhalten bestimmter Rituale belegt dies sonst wäre kein Muster festzustellen. Tatsächlich handelt es sich um Botschaften an nachfolgende Generationen. aber somit unstrittig um Kommunikation wenn auch nicht mit dem gewünschten Adressaten, wenn es sich um einen Archäologen handelt.
Wenn Spiele[12] im Sinne einer historischen oder archäologischen Quelle Daten liefern, und diese als Forschungsgegenstand durch verschiedene Fragestellungen zur Entstehung von neuen Erkenntnissen führen oder beitragen können, bedeutet das für mich, dass mit diesen ebenso wie mit etablierten Trägern archäologischen Wissens verfahren werden muss. Computerspielumgebungen werden zunehmend in einem archäologischen Kontext genutzt, sie sind Simulations- und Visualisierungswerkzeug und stellen quasi den Rahmen dar in welchem alle digital erfassten Daten zusammengeführt ein mögliches Gesamtbild ergeben können. Computerspiele bzw. virtuelle Umgebungen sind das archäologische Medium der Zukunft.
Diese Archive müssen dokumentiert und bewahrt werden. Das gilt für alle archäologischen bzw. wissenschaftlichen Quellen, damit die Forschungsergebnisse stets nachvollziehbar bleiben und überprüfbar sind.
Das führt mich zum letzten Kapitel in welchem ich einen kurzen Ausblick gebe was es bedeutet Computerspiele als träger archäologischen Wissens in eine Reihe zu stellen mit archäologisch relevanten Objekten (oder deren aktuellen medialen Reproduktionen) zu stellen. Die Gefahr das Projekte wie „Hullcraft“ die Zeit nicht überdauern, schätze ich auf Grund des wissenschaftlichen Ursprungs solcher Projekte als sehr gering ein.
[1] Die momentan bekannteste Plattform im Spielebereich ist Kickstarter (www.Kickstarter.com).
[2] „We paired world class game makers with Alaska Native storytellers and elders to create a game which delves deeply into the traditional lore of the Iñupiat people to present an experience like no other. Never Alone is our first title in an exciting new genre of “World Games” that draw fully upon the richness of unique cultures to create complex and fascinating game worlds for a global audience.“ (Never Alone, 2014).
[3]JohnsonArchive: www.hullhistorycentre.org.uk/discover/hull_history_centre/our_collections/local_history_sources/francis_johnson_archive.asp, 15.01.2015.
[4] „HullCraft is a case study for combining archives with “Minecraft”. Our project not only gets younger generations to play the past but to also interpret, analyse and recreate it from archival collections. ”Minecraft” allows players in the HullCraft world to explore beyond the imagery and text of archival documents, and to cross the boundaries between reality and the virtual.” (Rice 2014)
[5] „Throughout the summer, the Hull History Centre held a series of “Family Fun” days that encouraged people to engage with the archival drawings and plans from this important local architect. The activities included drawing, painting, model making and Lego building. With the involvement of the TEL team supported by Hannah Rice, who is working at the History Centre on the HLF funded Transforming Archives programme, this expanded in to the virtual world of “Minecraft” as another channel for people to get involved. To get things started, Hannah created a virtual version of the History Centre around which the HullCraft world is created.“
(Mills, 2014c)
[6] “Minecraft” existiert für die verschiedensten Plattformen (PC, mobile, Konsolen). Es wurden seit dem 17. Mai 2009 mehr als 51 Millionen (PC Version: 15 Millionen) Kopien verkauft werden. (Quelle: http://minecraft-de.gamepedia.com/Minecraft_Wiki, 10.01.2015)
[7] Martin O’Leary z.B. nutzte Daten aus dem britischen Antarktis-Vermessungsprojekt um die Region maßstabsgetreu in “Minecraft” nachzubilden. Quelle: http://www.martinoleary.com/”Minecraft”/ (Besucht am 19. Januar 2015).
[8] Ein weiteres aktuelles Projekt mit ähnlichem Ansatz ist die geplante Nachbildung des British Museum in “Minecraft” („Museumcraft“). Über die Interneteite des Museums wird die Öffentlichkeit informiert, und versierte “Minecraft” Spieler werden eingeladen, das Museum gemeinsam nachzubauen.
[9] „With virtual reconstructions we can test ideas about ancient landscapes, different interpretations of building techniques, and how people lived in the past. Come explore and reconstruct archaeological sites using the creative video game Minecraft!“ (Yornight 2014)
[10] Vielleicht ist dies ein Hinweis darauf, wie sehr unser Denken geprägt ist durch den Umgang mit den informationsverarbeitenden Systemen, von denen wir täglich, privat und beruflich, umgeben sind.
[11] Hacken bedeutet u.a. einen fremden Code zu Bergen und zu entschlüsseln, diesen zu decodieren um ihn zu verstehen und lesbar zu machen. Im ganz eigentlichen Sinne kann es relevant und nötig sein, den Zugriff auf historisches Datenmaterial und somit die Rekonstruktion der ursprünglichen Information, mittels Methoden des „Hackens“, so gut wie möglich in die Gegenwart zu retten. Auch steht Hacken in Verbindung mit Spuren(suche). Man muss die Spuren anderer erkennen und sich auch der eigenen Spuren bewusst, sein die man hinterlässt. Dringt man in ein geschlossenes System ein, besteht auch immer die Gefahr, dieses dadurch zu zerstören.
[12] Oder Spielumgebungen, welche von ähnlicher Beschaffenheit sind wie „Hullcraft“.