Die fiktive Welt von Fallout besteht aus den Resten einer Gesellschaft, aus Überlebenden einer Ära, welche (Kriegs-)Technik und Atomwaffen bis zur Perversion verherrlicht, genutzt und dadurch den eigenen Untergang heraufbeschworen hat.
Übrig geblieben sind die Propaganda, die Lügen und Artefakte aus einer Zeit, welche dem realen Amerika der 1950er-Jahre ähnelt. Das politische Klima in den USA dieser Zeit, war geprägt von Misstrauen und Rassismus. Nach zwei gewonnenen Weltkriegen und seit dem Bau der Atombombe herrschte der Glaube an die positive Kraft von Massenvernichtungswaffen vor. Es war ebenso eine Zeit der Bespitzelung und des Misstrauens, in öffentliche Kampagnen wurde gegen Kreative und Intellektuelle Stimmung gemacht, die Mafia hatte mit Kuba fast einen eigenen Staat, es herrschte Korruption und ein Klima, welches unter dem Deckmantel des Antikommunismus Menschen ihre Freiheit nahm. Diese Zeit wurde durch Fallout gnadenlos und treffend karikiert.
Die Spiele-Serie knüpft an diese Zeit an und zeigt was passiert wäre, wenn die Spirale der Gewalt und Unfreiheit sich noch ein wenig weiter gedreht hätte. Fallout wirft den Spieler in eine Welt nach dem atomaren Weltkrieg. Eine Welt in der jegliche Zivilisation und Menschlichkeit, wie wir sie kannten, verschwunden scheint und kein Recht und Gesetz gilt. Einsame Helden durchstreifen die Wüste, jeder denkt an sich selbst und es wird zusammengerafft, was man erbeuten kann. Geteilt wird nicht.
Hier fand auch der Brückenschlag zu unserer Welt statt, dem beginnenden Neoliberalismus der frühen 1980er Jahre, seit dem Regierungsantritt von Ronald Reagan bis hin zur „New World Order“ der frühen 1990er. Nicht ohne Grund erlebte auch das Genre der Endzeit- und Fantasy-Filme zu dieser Zeit seinen Höhepunkt. Man denke nur an Mad Max Filme, Die Klapperschlange oder den ersten Conan-Film. Hier wurde ganz klar gezeigt, was passieren kann, wenn die Menschheit die Kurve nicht bekommt.
Bethesda übernimmt das Ödland
Das Intro von Fallout beginnt mit den Worten „Krieg ist immer gleich…“.
Mit schwarz-weiß Aufnahmen aus den letzten Weltkriegen, aufbereitet im Stil von alten Wochenschauen, wird der Spieler gleich zu Beginn, mit unserer jüngsten Geschichte konfrontiert. Das Mediengedächtnis des bewanderten Spielers wird genutzt, um eine authentische Intro-Atmosphäre mit Gänsehaut-Effekt zu generieren.
Das kann man getrost als Hommage an George Miller (Mad Max) sehen, welcher auf gleiche Weise seine Filme beginnen läßt und diese Art von Aufnahmen dann wohl meist ausgestrahlten Videodokumente überhaupt sein dürften.
Der Bezug zu Wirkung und Schrecken der mit der Bombe einhergeht, weisen Spiel und Film gleichermaßen auf. In diesem Kontext ergibt das „Atombomben-Gimmick“ der Fallout Anthology erst recht keinen Sinn. Doch dazu später mehr.
Bethesda hat die Markenrechte des Fallout-Franchise zu einer Zeit erworben in der der Stern von Interplay Productions (bzw. später Entertainment), den Entwickler der ersten beiden Fallout-Teilen, bereits lange verblasst war. Die Firma hat zu dieser Zeit mehr oder weniger nur noch auf dem Papier existiert. Also gut zehn Jahre vor der kürzlich erfolgten Wiederbelebung durch eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne für Wasteland 2. Bethesda machte also das was Sie am besten können:Sie produzieren das erste Fallout-Spiel in 3D: Fallout 3. Es wurde sehr amerikanisch, aber durchaus den beiden Vorgängern entsprechend.
Bestehende Elemente wurden erweitert (wie die Slowmo-Splatter Cam), aber insgesamt wurde sehr vorsichtig und konservativ umgesetzt, was es auch schon in damals in 2D gab – wohl auch um die Fans nicht zu verschrecken.
Fallout Anthology mit der Bombe
In einer Zeit in der kriegerische Auseinandersetzungen vielerorts zunehmen und die ehemaligen Supermächte ihr Atomwaffenarsenal modernisieren, was könnte da fragwürdiger sein, als eine Fast-Replik der zweiten abgeworfenen Atombombe „Fat man“ als Verpackungsgimmick der Fallout Anthology zu verwenden? Und das genau 70 Jahre nach den Abwürfen der beiden Atombomben auf Japan! Kein Wunder, dass sie diese Edition nicht in Japan auf den Markt „werfen„. Übrigens: „includes audible bomb sound“. Wow! (News bei Gamestar)
Satire ist immer ein schmaler Grat, bei dem es an Fingerspitzengefühl nicht mangeln sollte. Aber anstatt zu provozieren, bedient man sich hier eines fragwürdigen und platten Gimmicks.
Wenn die erste eingesetzte Atombombe durch Fallout zum Sammelobjekt wird, läuft etwas falsch. Daran ist nichts Subversives mehr zu erkennen, denn sie läßt sich schwer von anderen Militär-Devotionalien unterscheiden. Natürlich haben Patriotismus und Militär in den USA einen anderen Stellenwert als hier zu Lande, was auch z.B. Merchandising und Spielzeug vor allzu kritischen Blicken schützt. Dennoch, die Beigabe zu Fallout Anthology bedeutet nichts anderes, als die Atombombe auf ein witziges Accessoire zu reduzieren. Oder in Form eines Sammelobjektes zu fetischieren. Was außerhalb der Spielewelt längst geschehen ist.
Was jedoch bei dieser Packung völlig fehlt ist die Meta-Ebene, wie die einer Satire innewohnende Kritik. Stattdessen ist dieses Objekt gekennzeichnet durch die schlichte Unmöglichkeit von diesem eine solche abzuleiten. Mit den Rechten an der Marke Fallout verfügt man ein über ein Stück popkulturelle Referenz, welche gerade was die Nerd-Kultur bei Spielern angeht, einen hohen Stellenwert hat. Man sieht dieser Anthology-Version die Nähe zu Fallout aber nicht an. Zumindest kann ich auf den Fotos nichts erkennen. Keinen Schriftzug und auch keinerlei spezielles Design bei welchem ein fiktionaler Charakter sichtbar wäre. Gut, Rost und Bemalung evtl. Aber man kennt das Original zumeist nur von alten Schwarz/Weiß Aufnahmen. Global betrachtet befinden wir uns gegenwärtig in einer neuen Phase des Wettrüstens welches sich u.a. in der Modernisierung und Aufstockung des Atomwaffenarsenals der der ehemaligen Supermächte zeigt. (–> U.S. Ramping Up Major Renewal in Nuclear Arms; USA wollen Atomwaffen in Deutschland erneuern)
Wie nah die ZeniMax Media Inc. (Bethesdas Mutterfirma) an tatsächlichen Erinnerungsobjekten ist zeigt eine kurze Recherche bei Amazon.
Was soll das Ganze?
Um diese Frage zu beantworten, hilft vielleicht ein Blick auf die Struktur bzw. die Führungsetage der ZeniMax AG, zu welcher Bethesda gehört. Diese ist interessanterweise von einem der beiden Bethesda Gründer (Christopher Weaver) ins Leben gerufen worden. Der Plan war Bethesda finanziell wieder auf Vordermann zu bringen und neues Kapital zu generieren um die Kosten der Spieleentwicklung besser abfedern zu können.
Werfen wir einen Blick auf die Aktionärsstruktur. Die Hauptanteilseigner sind neben der ProSiebenSat1 Media AG eine Risikokapitalgesellschaft. O.K., beides sind Informationen welche wenig Aufschluss geben.
Widmen wir uns als nächstes dem Aufsichtsrat der ZeniMax AG. Hier fallen vor allem zwei Namen auf: Es handelt sich um Robert S. Trump und Jerry Bruckheimer. Trump ist Präsident bei Trump Management Inc. und der Bruder des möglichen zukünftigen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald S. Trump. Dieser ist in seinem Wahlkampf gerade dabei den bisherigen Spitzenkandidaten Dick Cheney von rechts zu überholen. Freilich kann man über den Bruder nur spekulieren, klar sein dürfte jedoch, dass dieser wohl kaum als Kandidat für die Demokraten ins Rennen gehen würde.
Bei Bruckheimer ist die Sache etwas einfacher. Als Mitglied und Unterstützer der Republikaner (Er war Wahlkampfhelfer für die beiden Bushs) macht dieser keinen Hehl aus seiner politischen Einstellung. Als Sympathisant der Waffenlobby (wie die meisten Republikaner, es gibt aber auch direkte Geschäftsbeziehungen) hätte er vermutlich nichts dagegen, wenn tatsächlich Uran-Munition und kleine Atomwaffen zur individuellen Selbstverteidigung eingesetzt würden. Ok, ich gebs zu, dass war stark überzogen. Das er jedoch schon lange mit dem Militär zusammenarbeitet, ist nicht zuletzt seit seinen Kino-Kassenschlagern Top Gun und Pearl Harbor ersichtlich und bekannt.
Inwieweit Teile des Aufsichtsrats repräsentativ sind oder Einfluss auf Firmenkultur und kreative Entscheidung nehmen können, bleibt natürlich rein spekulativ.
Bekannt ist jedoch, dass Bruckheimer bereits in der Vergangenheit starke Ambitionen hatte auf dem Spielemarkt mitzumischen. Gleiches dürfte für seine Partner aus Film und Fernsehen, wie das US Militär, gelten. Ein ähnlich positiver Imagegewinn, wie durch o.g. Filme, soll auch durch einen Fokus auf das Medium Computerspiel erreicht werden. Neben eigenen offiziellen Auftragsarbeiten vom Militär wie America‘s Army, soll durch geschickte Zuwendung und Posten in den Führungsabteilungen wichtiger Computerspielfirmen ebenso Einfluss genommen und Lobbyarbeit geleistet werden. Bruckheimer könnte also genau der Richtige gewesen sein, um der angeschlagenen Firma Bethesda ein paar Mark extra aus den Werbefonts der US Armee zu sichern. Eine Hand wäscht die andere, was dabei herauskommen kann, sehen wir vermutlich gerade bei der Fallout Anthology.
Ich behaupte nicht, dass das Militär oder die Waffenlobby einen direkten Nutzen davon hat, diese Spielbox in Form der ersten Atombombe zu wählen, jedoch könnten die o.g. Konstellationen dazu geführt haben, einen weniger kritischen und satirischen Ton anzuschlagen. Ich hätte mir z.B. , auch auf Grund der ähnlichen Silhouette, Schnuller für Kinder, in Form von kleinen Atompilzen, vorstellen können. Oder als Mobilee über dem Kinderbett. Oder eine Mütze. Dann wird’s auf dem Spielplatz nicht so langweilig für die Eltern.
Gimmick und Spiel
Dass die kranke Ödland-Bewohnerschaft die Atombombe nach wie vor fetischiert ist auf Grund der Geschichte der Spielwelt nachvollziehbar. Dass wegen der Macht und Zerstörungskraft der Bombe, Kulte um sie entstehen, verwundert auch niemanden. Und, dass der Spieler im Spiel Uranwaffen, bis hin zur richtigen Bombe einsetzen kann, ist ebenso eine Konsequenz aus der Beschaffenheit dieser Spiel-Welt.
Dieser Bezug verschwindet allerdings, wenn man versucht diesen Fetisch in Form einer Plastik in unsere (reale) Welt zu transportieren. Wenn eine besondere Edition erworben wird, dann möchte der Spieler damit seine Verbundenheit mit dem Spiel und einer gewissen Begeisterung Ausdruck verleihen. Die Wackel-Figur oder die Brotbox aus der Special Edition von Fallout 3 sind nerdig, trashig und zeitlos, kurzum: Eine gute Werbung. Ein Atombombenmodell im Wohnzimmer jedoch, scheint mir keine dieser Eigenschaften zu besitzen. Zumal der Vergleich der Anthology Bombe mit zahlreichen im Fachhandel erwerbaren Repliken der “Fat Man” höchstens marginale Abweichungen erkennen lässt.
Es fällt mir schwer den Anblick dieser Bombe mit Erinnerungen an Fallout zu verbinden. Die Atombombenabwürfe 1945 auf Japan haben, wie kein anderes Ereignis zuvor, Spuren im Bewusstsein aller Menschen hinterlassen. Sie sind der bis dato größte Schrecken der Menschheit und Teil einer weltweit praktizierten Erinnerungskultur. Die beiden Atombomben, ihre Form und der typische Explosions-Pilz sind Symbole, so stark und präsent, wie kaum andere. Es scheint mir die denkbar schlechteste Wahl zu sein, um als Nerd-Accessoir auf dem Gamer-Schreibtisch zu landen. Hierin könnte man sogar eine Provokation erkennen, wenn auch bestimmt keine gewollte.
Denn es bleibt was es ist: das Modell einer (realen) Atombombe und als solche ist sie klar als eine leichte Variation der Nagasaki-Bombe zu erkennen. Dass dies kein Versehen ist, zeigt die Rücksichtnahme Bethesdas auf den japanischen Konsumenten, da eine Version für den dortigen Markt nicht vorgesehen ist.
Dass im Land der Mangas, die Verwendung von Atomwaffen innerhalb dieser populärkulturellen Sphäre in irgend einer Weise tabuisiert ist, wage ich stark zu bezweifeln. ZeniMax gibt damit indirekt zu, dass es kein cooles Sammel- und Gaming-Accessoire ist, sondern mindestens eine peinliche Gschmacklosigkeit.
Der Skandal (in Japan) wäre perfekt, eine US-Spielefirma möchte gerne Hunderttausende Kopien ihrer neuen Sammeledition in den japanischen Handel bringen, deren Alleinstellungsmerkmal ausgerechnet ein Modell jener Massenvernichtungswaffe ist die bis Heute Hunderttausenden das Leben gekostet hat und deren verheerende Wirkung bis heute anhält.
Man stelle sich vor, halb Tokio zugekleistert mit riesigen Reklametafeln auf denen die Bombe (den Hinweis auf den authentischen Soundeffekt nicht zu vergessen) nebst Fallout Anthology zu sehen ist. Bei der Vorstellung musste wohl selbst bei ZeniMax jemand schlucken. Ob, aber Bethesda durch diesen Rückzieher vom japanischen Markt womöglich auf den Topseller des Jahres verzichtet hat, werden wir wohl nie erfahren. Schade, ich hätte mich sonst schon auf die „Battlefield: Agent-Orange Edition“ speziell für ein Vietnam gefreut. Electronic Arts schläft bei so etwas nämlich auch nicht.
Nirgends sonst wird klarer, dass es sich um ein Symbol handelt welches bis Heute auch fester Bestandteil einer Nationalen Erinnerungskultur in den USA ist, welche den Mythos am Leben hält. Der Einsatz der Bomben war militärisch unnötig und hat den Krieg nicht zu einem schnelleren Ende gebracht. Sie war aber stets ein hilfreiches (macht-)politisches Instrument, um nationale Interessen durchzusetzen. Aus diesem Grund wird die Bombe von weiten Teilen des US-Etablishements und der Bevölkerung eher als positive, nationale Errungenschaft gewürdigt. Ich stelle die Vermutung an, dass diese Auffassung auch von den Mitgliedern des Aufsichtsrat der ZeniMax AG geteilt wird. Schließlich ist, wie wir alle gelernt haben, Frieden ohne ein “abschreckendes Arsenal“ an Atomwaffen heutzutage immer noch undenkbar.
Die Waffe war zudem fast ein Exportschlager, viele Staaten konnten es gar nicht abwarten, sich auch eine zuzulegen. Und was gut ist setzt sich doch schließlich immer durch, oder nicht?
Es ist mehr als schade, dass Bethesda mit diesem Gimmick nicht nur die Welt von Fallout ab absurdum führt, sondern auch Gefahr läuft ein politisches Statement abzugeben, was in jedem Fall kein Imagegewinn für die Firma sein dürfte. Auch bleibt zu hoffen, dass dieses hier zur Schau gestellte Unverständnis bezüglich der Fallout-Welt und ihrer Beschaffenheit nicht dazu führt, die Eigenständigkeit und Existenzberechtigung dieser Spielreihe zu untergraben.
Zum Glück gibt es ja noch Wasteland 2. Als ob Brian Fargo geahnt hätte, was Bethesda im Schilde führt. Da muss halt Opa wieder ran (Wasteland ist gemeint, nicht Fargo!) Und das scheint mir auch ganz gut so.
Daniel Klages, Computerspielarchäologie.de