Computerspiele als digitales Kulturerbe

Computerspiele als digitales Kulturerbe

Ging es in den vorigen Abschnitten u.a. um die den virtuellen Welten eigene Materialität und deren Erforschung so möchte ich hier darauf aufmerksam machen das die Computerspiele im Sinne ihrer Medialität und als Wissensspeicher betrachtet werden können. Computerspiele sind, wie alles andere auch, irgendwann Produkte der Vergangenheit und somit ein zeitgeschichtliches Dokument. Sie dokumentieren u.a. den technischen Fortschritt der Computer Ära und wurden von Anfang an dazu benutzt, zu zeigen was mit Computern, neben ihrer Funktion als Rechenmaschinen, möglich ist.

Die Firmenbetreiber haben sich in den ersten Jahren ihres Bestehens wenig Gedanken darübergemacht, ob ihre Entwicklungen für die Nachwelt erhaltenswert sind. Auch die Tatsache, dass es sich um eine sehr schnelllebige Branche handelt hat dafür gesorgt, dass vieles verloren gegangen ist. Mythen und Legenden haben sich gebildet, auf Grundlage von Erzählungen und Erinnerungen damals involvierter Personen.[1]

Viele Computerspielfirmen und Hardwarehersteller haben die technologischen Generationswechsel und die stetigen Anforderungen des Massenmarktes nicht überlebt. Ein Bewusstsein, das eigene Schaffen zu dokumentieren und zu Bewahren hat erst in den späten 1990er Jahren eingesetzt (siehe abandonware.com, ab 1997). Der Markt war, gerade in den frühen Tagen, anfällig für Krisen. Der große Videospielecrash des Jahres 1983 sorgte für ein zeitweiliges Aussterben westlicher Konsolenherrsteller, wie Atari oder Intellivision. Viele Archive waren bereits Anfang der 1990er Jahre verloren, der Original Quellcode wurde nicht auf moderneren Systemen gesichert da der Aufwand teils mit hohen Kosten verbunden war da Speicherplatz teuer und Server Architektur und damit die Langzeitarchivierung noch in den Kinderschuhen steckte. Es ist vielen Privatanwendern und Hobby Sammlern zu verdanken das wir heutzutage über einen reichhaltigen Fundus an Software und Geräten aus damaligen Zeiten verfügen. Die Tatsache, dass es sich bei Computerspielen um eine Ware handelt, die gewinnorientiert für einen Massenmarkt produziert wird lässt in den Jahren nach Erscheinen zumeist keinen Mangel an existierenden Exemplaren entstehen. Eine historische Schwierigkeit ist der recht kurze Produktlebenszyklus im Soft- und Hardwarewarebereich.

Es gibt mittlerweile viele Messen und Ausstellungen wie z.B. die Retro Börse (http://www.retroboerse.de) oder Vereine wie Retro Games e.v. (http://www.retrogames.info) welche sich zur Aufgabe gemacht haben alte Spiele und Geräte zu erhalten. Zahlreiche Internetportale stellen Emulatoren und die Spiele der damaligen Zeit zur Verfügung. Die ersten Internetseiten die diese alten Spiele bzw. dien Inhalt der Datenträger digitalisiert und zur Verfügung gestellt haben wie z.B. abandonware.com, gehen auf das Jahr 1997 zurück. Über die Seite Archive.org können mehrere hundert Spieleklassiker direkt im Browser gespielt werden.

Die Tatsache das die erste und zweite Generation die durch Computerspiele sozialisiert wurden mittlerweile größtenteils selbst Eltern und Berufstätig sind macht diese zu einer kaufkräftigten Bevölkerungsschicht welche sich im alter zwischen 30 und 50 Jahren befindet. Gerne lassen sich manche Spieler an die eigenen Spielerfahrungen aus Kindertagen erinnern und sind bereit sich diese Erinnerungskultur auch etwas kosten zu lassen. Darauf hin deuten z.B. die zahlreichen Messen, die Retro-Magazine und die Gelder die eingesammelt werden können um Fortsetzung alter Spieleklassiker, welche teils auch auf dem selben technischen Grundgerüst aufbauen wie damals, zu realisieren. [2]

Aus dieser Perspektive ist es immer auch eine Besinnung (Teilweise bestimmt auch Verklärung) der eigenen Jugend. Wer diese Spiele von damals kennt, hat eigentlich keinen Grund diese erneut zu Spielen und es zeigt sich auch häufig, dass die damalige Begeisterung nicht wiederholbar ist. Ein klassisches Retro-Phänomen ist die Tatsache, dass zahlreiche moderne Spiele sich bewusst der Optik damaliger Zeiten bedienen, ohne jedoch auf liebgewonnene Spielhilfen zu verzichten.

Die Spiele von damals waren pure Mechanik, auf das wesentliche reduzierte, in ihrer Darstellung zweidimensionale und abstrakte Gebilde. Und dennoch gibt es kein Szenario oder Genre was nicht in schon in irgendeiner Form mit den beschränkten Möglichkeiten vergangener Tage realisiert wurde.[3]

Die Spieler der ersten Stunde möchten auch ihren Kindern die damaligen Spielerfahrungen zugänglich machen. Es ist ein reflektieren der eigenen Jugend und Mediensozialisation. Diesen Ansatz verfolgte auch Andy Baio: Er hat seinen Sohn die eigene Sozialisation durch Videospiele über einen Zeitraum von vier Jahren, chronologisch nachempfinden lassen.[4]

 

 

Ein Ort wo man historische Spielgeräte besichtigen kann ist das Computerspiele-Museum in Berlin (computerspielemuseum.de) es gehört in Europa zu den ersten Einrichtungen dieser Art und hat sich inzwischen in der Berliner Museumslandschaft etabliert. Hier ist es möglich Spieleklassiker an original-Hardware auszuprobieren, und die damalige Erfahrung aufzufrischen oder der nachfolgenden Generation zu präsentieren. Auch die Kulturgeschichtlichen Hintergründe und die Produktionsweise sind Teil der Ausstellung.

Zu der Mission des Computerspielemuseums gehört der Erhalt[5]  unseres digitalen Erbes für zukünftige Generationen. Eng verknüpft mit dem Computerspiele-Museum ist auch das von der EU geförderte Forschungsprojekt KEEP.[6]

Dort werden Konzepte und Werkzeuge zur hardwareunabhängigen Bewahrung digitaler Kulturgüter entwickelt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang noch das nestor[7] Projekt. In nestor arbeiten Bibliotheken, Archive, Museen sowie führende Experten gemeinsam zum Thema Langzeitarchivierung und Langzeitverfügbarkeit digitaler Quellen. Andreas Lange (Lange 2009, S.46), der Kurator des Computerspielemuseums, spricht in diesem Zusammenhang unter anderem davon, dass es eine Gesetzmäßigkeit kultureller Entwicklung sei, dass sich an Phasen technischer Innovation die Idee der Bewahrung der jeweiligen Kulturgütererst mit einer gewissen Zeitverzögerung anschließe. Dies sei auch bei dem Medium Film nicht anders gewesen. Computerspiele seien darüber hinaus das älteste massenhaft verbreitete digitale Kulturgut (Lange 2009, S. 47).

Die Entwicklung von Verfahren zur Speicherung historischer Datenbestände ist nicht die Domäne der Archäologie, die Archäologen nutzten diese Medien und Datenspeicher lediglich im jeweiligen, gegenwärtigen Kontext. Wichtig für die Archäologie ist der Umgang mit digitalen Daten und ihren Archiven. Durch Internettechnologien und dezentrale Speicherlösungen sind Technologien vorhanden die ein Erhalt der Datenbestände und einen weltweiten Zugriff erlauben ohne das die Hardware und deren Betrieb lokal oder regional realisiert werden müsste.

Als eine Symbiose zwischen Informatik und Ingenieurswissenschaften mit dem Ziel und Zweck alte Computersysteme und Programme für die Gegenwart nutzbar zu halten und der Vergangenheit zu entreißen, begreift sich die „Computerarchäologie “von Stefan Höltgen (2014).

Dieser Ansatz ist sicherlich kein archäologischer da hier alles auf eine Verwendung im gegenwärtigen Kontext abzielt. Auch begreift sich Höltgen als Medienwissenschaftler und betreibt Forschung als eine Medienarchäologie.[8] Die Archäologie ist nicht an dem Erhalt der Nutzungsmöglichkeit damaliger Werkzeuge interessiert und richtet ihr Interesse auf den  Zweck und die Einbettung im jeweiligen historischen Kontext. Auch die experimentelle Archäologie erforscht Herstellungsmethoden und Objekte entsprechend der damaligen Möglichkeiten. Dennoch handelt es sich um ein Bergen technischer Artefakte, ein Erforschen der Funktionen, als auch und eine Inbetriebnahme dieser Computerbasierten Geräte und Datenträger. Man versucht historische Geräte mit heutigem Verständnis von Informatik zu Betreiben und zu erweitern. Nicht so eindeutig Verhält es sich jedoch mit folgendem Beispiel, der Rettung bzw. der Bergung von Bildern Andy Warhols.

Alle Aspekte, welche die Bergung und Rekonstruktion betreffen, überschneiden sich mit möglichen archäologischen Ansätzen und sind ein vorstellbarer Arbeitsbereich der Zukunft. Alle Aspekte bis auf die (Um)Nutzung im modernen Kontext kämen evtl. in Frage.

Die Rekonstruktion von digitalen Kunstwerken, das Sichern und Wiederherstellen der Informationen von den Datenträgern Warhols stellen ein Zeitdokument wieder her was hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte des Künstlers von Interesse ist als auch als Fußnote einer Technikgeschichte bzgl. der Verwendung von Heimcomputern (wie hier dem Amiga 1000), als Erzeuger digitaler Kunstwerke, gesehen werden kann. Wenn man soweit gehen möchte, den Archäologen als eine Art „Hacker“ zu begreifen, könnte eine zukünftige Beteiligung an Projekten dieser Art nicht ausgeschlossen werden. Ein interessanter Artikel in diesem Zusammenhang stammt von Peter Christiansen (Christiansen 2014). Er beschäftigt sich mit der Analyse des Quellcodes bekannter Spiele zum Zwecke einer Erforschung der Entwicklung der Programmlogik und angewandten Programmierverfahren, sowie als zeitgeschichtliches Dokument der Programmierer. Ein Vergleich für die Spieleserien wie z.B. „Civilization“ gut geeignet wären da hier über 20 Jahre Seriengeschichte beobachtet werden könnte ob den Routinen der künstlichen Intelligenz eine Entwicklung stattgefunden hat. Das Ganze ist vor dem Hintergrund zu verstehen, das Nachfolger , einzelne Spiele erfolgreiche Spieleserien nie komplett neu entwickelt werden und immer Rudimente ihrer Vorgänger in sich tragen.

Bei den meisten Computerspielen allerdings handelt es sich um Waren einer Industrie, welche in Massen Produziert werden. Hier ist ein Verlust als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen. Projekte wie die Ausgrabung auf dem ehemaligen Entsorgungsgelände von Atari zeigen das auch ein klassischer archäologischer Zugriff möglich ist, allerdings geht es hier weniger um die Spiele an sich (Z.B. das Spiel E.T. ist in hoher Stückzahl produziert worden und kann keinesfalls als seltenes Artefakt gelten[9]) als um die Dokumentation und Aufklärung einer urbanen Legende.

Obwohl die Deponierung durch die Berichterstattung der lokalen Presse dokumentiert und belegt wurde[10], mehrten sich in den kommenden Jahren die Zweifel an der Existenz dieser Deponie.[11]

Durch die am 26. April 2014 durchgeführten Ausgrabungen konnte die Existenz jedoch zweifelsfrei belegt werden. Auf den Internetseiten Andrew Reinhards ist die Ausgrabung als auch deren Nachbearbeitung gut dokumentiert.[12]

 


 

[1] Zu finden z.B. in der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Retro Gamer“ (Heise Verlag, ab 2012), oder der als Vorlage dienenden, monatlich erscheinenden britische Zeitschrift „Retro Gamer“ (Imagine Publishing ab 2005) hier finden sich regelmäßig entsprechende Beiträge, z.B. in der Rubrik „Firmenarchive“.

[2] Z.B. die erfolgreiche Kickstarter Kampagne (der damaligen Designer) zur inoffiziellen Fortsetzung des Adventure Klassikers „Maniac Mansion“ aus dem Jahre 1985.

[3] Eines der ältesten und bekanntesten Spiele ist „Pong” (1972, Atari). 2 Balken die bewegt werden können und ein viereckiger Cursor waren genug um als Sportsimulation (auch bekannt unter dem Namen „Tennis“. Andere Beispiele sind Flugsimulatoren (z.B. Flightsimulator (Microsoft, 1982), oder „Ancient art of War“ (Brøderbund Software, Inc., 1984).

[4] Ausgangspunkt war die Frage: „What happens when a 21st-century kid plays through video game history in chronological order?“ (Baio 2014).

[5] ‘Computerspiele einschließlich anderer interaktiver Unterhaltungsmedien (Video-, Konsolen-, Online- und Handyspiele) haben in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Sie sind in Deutschland wirtschaftlich, technologisch, kulturell und gesellschaftlich zu einem wichtigen Einflussfaktor geworden. […] Computerspiele transportieren gesellschaftliche Abbilder und thematisieren eigene kulturelle Inhalte. Sie werden damit zu einem bedeutenden Bestandteil des kulturellen Lebens unseres Landes und sind prägend für unsere Gesellschaft“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7116, 16. Wahlperiode).

[6] http://www.keep-project.eu, 11.01.2015

[7] http://www.langzeitarchivierung.de, 11.01.2015

[8] Vgl. Pritlove 2014a

[9] Es wird von ca. 3,5 Millionen unverkauften Exemplaren ausgegangen. Quelle: Shelley Smith: The 1983 Atari   Titanic is rising. In: Alamogordo Daily News, 12. April 2005, in http://de.wikipedia.org/wiki/Atari_Video_Game_Burial, vom 15.01.2015.

[10] Vgl. http://elpasotimes.typepad.com/morgue/2013/01/the-1983-atari-titanic-is-rising.html

[11] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Atari_Video_Game_Burial, vom 15.01.2015.

[12] Vgl. https://archaeogaming.wordpress.com/?s=atari, vom 20.01.2015.