Alternatives Vorwort: Computerspiele als Kulturtechnik
Viele Menschen werden nostalgisch beim Gedanken an die Vergangenheit‚ die Bilder in Geschichtsbüchern zeichnen meist ein friedliches und romantisches Bild der Vorzeit. Wir sehnen uns nach einer Zeit die wir selbst nie erlebt haben. Computerspiele eignen sich bestens dazu mit der Vergangenheit umzugehen. Denn nichts Anderes passiert in vielen erfolgreichen Spielen – es handelt sich um ein Auseinandersetzen mit der Vergangenheit. Ähnlich wie in der Archäologie in welcher Mythen und geschichtliche Überlieferungen hinterfragt ‚überprüft und auf Basis materieller Hinterlassenschaften immer neu interpretiert werden‚ kann man auch in vielen Computerspielen ein neues Arrangement historischer Fakten beobachten. Es wird interpretiert und neu zusammengesetzt was bekannt ist und war und durch die Handlungsebene wird der Spieler direkt in diesen Prozess mit einbezogen. Das Internet bietet mit den zahlreichen Foren und Community Features Spielern und anderen Interessierten die Möglichkeit sich mit der Historizität der Spiele und der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Wenn man wissen möchte wie nicht akademische Diskurse geführt werden lohnt sich mehr als nur ein Blick auf diese neuen Medien. Computerspiele sind dabei noch mehr als ein neues Medium ‚ Computerspiele sind Kulturtechniken und damit in einen Bereich tätig in welchem auch die Archäologie als Altertums- und Kulturwissenschaft angesiedelt ist. Ich beziehe mich hier direkt auf Michael Shanks welcher die Archäologie auch als Sozialwissenschaft und vor diesem Hintergrund als Kulturtechnik (‘Cultural Practice“) versteht und nicht als eine Disziplin welche nur objektives Wissen über die Vergangenheit anhäuft. Viele Spiele wie z.B. die letzten drei Teile der Elder Scrolls Reihe (Skyrim ist der fünfte Teil dieser Serie) oder auch der aktuell fünfte Teil der Civilization Reihe‚ bieten die Möglichkeit für sog. User generated Content (wie auch der Web 2.0 Standard‚ welcher diese Features für das Internet bereitstellte). Für Spiele bedeutet dies das dem Spiel Werkzeuge beigelegt sind welche es den Nutzern erlaubt eigene Inhalte hinzuzufügen und das Originalspiel nach eigenen Vorgaben zu modifizieren. Die eigenen Kreationen werden als Mods bezeichnet und können über entsprechende Plattformen über das Internet anderen Nutzern zur Verfügung gestellt werden. Auch hier zeigt sich das für Computerspiele als Kulturtechnik entsprechende Werkzeuge existieren und diese genutzt werden um sich u.a. mit Aspekten der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Für Skyrim existieren zahlreiche Mods welche den Detailgrad der Waffen‚ Rüstungen und Ausrüstungsgegenstände verändern oder komplett durch historisch korrekte Modelle Ersetzen. Für Civilization existieren zahlreiche Inhalte welche bestimmte Aspekte oder Epochen der Menschheitsgeschichte Simulieren‚ bis hin zu regionalen Sehenswürdigkeiten welche so ihren Weg in das Spiel gefunden haben.
Es reicht bis in die frühen Zeiten zurück‚ bis zu den Anfängen computergestützter Simulationen das die Menschen die Maschinen nutzten um ihrem Bedürfnis nachzukommen die Vergangenheit‚ die Geschichte wieder aufleben zu lassen. Wissen wurde weitergegeben‚ ausgeschmückt und an die Logik der Maschine angepasst. Man kann fast behaupten das die Maschinen (oder diejenigen die Sie bedienten) eine hohe Affinität zu all dem aufwiesen was Geschichte ist. Wenn man ein Instrument zur Verfügung hat was Geschichten erzählen‚ Welten Simulieren und auf den Spieler individuell reagieren kann‚ so scheint es nur logisch damit Teil von etwas werden zu wollen was man selbst nicht mehr erleben kann. Der Computer ist bei der Rekonstruktion von Vergangenheit zu einem Mächtigen Instrument geworden von dem reger Gebrauch gemacht wird. Die Zeitmaschinen unserer Tage. Man kann sogar sagen die Maschinen laufen auf Hochtouren betrachtet man vor allem die historischen Inhalte welche gerade bei Computerspielen sehr häufig zu finden sind. Computerspiele sind Simulationen. Die hohe Verbreitung dieser Art von Technik hat in den Industrienationen dafür gesorgt, dass dieses Medium die am häufigsten genutzte Plattform unserer Zeit ist um historisches Wissen zu vermitteln. Auch der Einsatz von modifizierten Versionen von Skyrim oder Civilization für den Geschichtsunterricht verdeutlicht die Wirksamkeit dieser Computerspiele als Werkzeuge der Wissensvermittlung. Kybernetik ‚Strukturalismus und die daraus entstandenen Theorien wie die soziologische Systemtheorie Luhmans zerlegten die Gesellschaft‚ alle Aspekte des menschlichen Handelns und der Interaktion in verschiedene teils selbst-referentielle Systeme. Feedbackschleifen und Selbstoptimierung sind die Prämissen unserer Zeit. Begriffe aus der Systemtheorie und Kybernetik sind in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeflossen und haben unser Verständnis vom miteinander und auch die gesellschaftlichen Anforderungen welche an das Individuum gestellt werden nachhaltig verändert. Wir alle sind Teil dieser gesellschaftlichen Steuerungsprozesse. Das jedoch aus den biederen EDV Zahlenwüsten der frühen 1980er Jahre auch Visuell beeindruckende Welten‚ und ihre Erzeuger Unterhaltungskünstler werden sollten‚ konnte keiner ahnen. Computer waren Rechenmaschinen welche halfen komplexe stochastische Berechnungen durchzuführen. Man gab Zahlen hinein und es kamen Zahlen heraus. Der Algorithmus war nackt und die Welt die er generierte war abstrakt und ebenso faszinierend wie der Display eines Taschenrechners. Auch in der Archäologie wurden entsprechende Programme entwickelt Vergangenheit zu rekonstruieren und Forschungsergebnisse zu verifizieren. Inzwischen gehören computergenerierte Welten zu den populärsten (Freizeit-) Phänomenen unserer Zeit. Die Spieleindustrie hat im Jahre 201’ die Filmindustrie in puncto Umsatz überholt und das Medium Computerspiel im selben Zuge als neues Medium endgültig etabliert.
Anlass genug sich mit diesem Phänomen vor dem Hintergrund der Archäologie etwas genauer zu befassen. In dem Moment in welchem die Welten so komplex werden das historische Abläufe in einer Simulation Spiel- und Erfahrbar gemacht werden und in einem Detailgrad visualisiert werden können der alles Gewünschte darstellbar macht‚ lohnt es sich den Versuch zu unternehmen herauszufinden wie es um das Verhältnis zwischen Archäologie und historischer Simulation bestellt ist.Der Archäologie sollte das Bindeglied sein zwischen unserer Gegenwart und einer möglichen Vergangenheit. Sie sollte Fakten aufbereiten und vermitteln und so einer möglichst breiten Öffentlichkeit präsentieren unter der Berücksichtigung der Möglichkeiten welche die aktuellen Medien bereitstellen.Damit Medien wie Computerspiele diese Faszination und diesen hohen Unterhaltungswert erlangen konnten war eine Änderung der Gesellschaft nötig. Genauer der Struktur. Wie Arbeit organisiert und was wie produziert wird hat die menschliche Gesellschaft ‚das zusammenleben schon immer entscheidend geprägt. Erst die Durchdringung der Gesellschaft durch die Informationstechnologie in den letzten 30 Jahren‚ der Wandel einer real Produzierenden zu einer abstrakten Computergestützten Arbeitsweise hat den Menschen an die Maschine angepasst. Geht man mit Computern um muss man wissen welche Sprache dieser Verstehen kann und muss sich an die Art der Informations- ein und Ausgabe gewöhnt und diese verinnerlicht haben. Die Durchdringung des privaten mit Produkten der Informationstechnologie und schließlich die Tatsache das Freizeitgestaltung ähnlich der in der Arbeitswelt erlernten Denkweise‚ innerhalb abstrakter Routinen‚ Freude bereiten kann und genieß- und konsumierbar wird‚ zeigt das die letzte Phase dieser gesellschaftlichen Transformation hin zur Etablierung einer neuen Lebens- und Denkart bereits fast abgeschlossen ist. Die Abhängigkeiten und Veränderungen struktureller gesellschaftlicher Organisation haben das Fundament bereitet um es überhaupt möglich zu machen menschliches Verhalten und Geschichte auf diese Art aufnehmen und konsumieren zu können. Eine Gesellschaft die geprägt ist durch den Umgang mit dem Computer wird all dies begünstigen was mithilfe von / durch Computer dargestellt bzw. verarbeitet werden kann. Die Informationstechnologie ist das gängige Universalwerkzeug unserer Zeit und die Computerspiel(räume) sind die Kathedralen des 21. Jahrhunderts. Hier entfaltet sich ein wirkungsmächtiges Potential durch die schier unbegrenzten Möglichkeiten der visuellen Darstellung und durch das Einbeziehen des Spielers als Protagonist und Entscheidungsträger. Die Handlung innerhalb einer Computersimulation‚ das Computerspiel funktioniert im Gegensatz zur Gesellschaftlichen Interaktion perfekt. Hier gibt es keine Fehlentscheidungen Seitens des Systems. Alle Eingaben des Nutzers werden auf dieselbe logische Art und Weise interpretiert. Mit der Un-Logik des Lebens und menschlicher Entscheidungen ist man in solch einer Umgebung nicht konfrontiert. Das Urteilsvermögen eines Rechners folgt der Logik der Schaltungen und der des Programms welches innerhalb dieser Parameter ausgeführt wird.
Computerspiele sind Gegenstand einer Freizeitkultur. Ein Kollektiv von Spielern und -Innen, und somit Teil einer wahrnehmbaren und beschreibbaren gesellschaftlichen Realität. Computerspiele sind konstruierte Welten welche ähnlich der gewohnten Medien funktionieren. Sie vereinen lediglich die bisherigen Einzelmedien in Form von Text (Zeitung, Buch), Audio(Cd/Radio) und visuellem(Film) und erweitern diese um eine aktive Steuerungsmöglichkeit (Interaktion) um an die gewünschten Inhalte zu gelangen. Laut Natascha Adamowsky[1] eignen sich Computerspiele als Modell und Metapher für bestimmte Weltausschnitte. Sie verfügen über ein kulturübergreifend bekanntes Arsenal an Motiven und haben eine hohe Affinität zu Macht und Herrschaft.
Ihr überschaubares Set an Parametrisierungsmöglichkeiten (Spieler, Spielfeld, Spielregel, Spielzeit) prädestiniere sie als Methode, um aus vielschichtig verwobenem Leben überschaubare, vorhersagbare und letztendlich beherrschbare Anordnungen zu gewinnen. Der Zusammenhang von Motivation und Lebensweltlicher Konsequenz, welche in der Modellierung von Welt innerhalb der Parameter der Spiele stattfindet, gilt es darzustellen und zu hinterfragen.Da Spiele ein Spiegel ihrer Zeit sind und als metasozialer Kommentar gelesen werden können, so Adamowsky, kann man auch Computerspiele als Machtanordnungen interpretieren, die den einzelnen in den Kapitalismus, die Globalisierung, den Krieg etc. hineindisziplinieren.
Dieses Disziplinieren bzw. der gesellschaftliche Integrierungsprozess soll Vorgänge benennen, von welchen sich zahlreiche Aufzeigen lassen und welche allesamt ihren Teil zur gesellschaftlichen Integration innerhalb der Sozialisation beitragen. Die Vor- und Frühgeschichte hatte in ihrer Funktion als Leitwissenschaft bei ihrer Etablierung Ende des 19. Jahrhunderts die Aufgabe ein Instrumentarium zur Klassifikation fremder und vergangener Kulturen zu entwerfen und prägte somit das Raum und Zeitverständnis im Sinne einer auf Expansion und Fortschritt ausgerichteten christlich-abendländischen Kultur. Die hohe Akzeptanz dieser Denkweise zu der Zeit ist auch daran zu erkennen wie sehr arch. Denkmodelle wie die stratigraphische Methode, und das daraus hervorgehende Schichtenmodell, das Selbstverständnis anderer, meist im entstehen begriffener Wissenschaften war. Exemplarisch sei hier Freud[3] genannt welcher das Menschliche Bewusstsein als Schichtenmodell Begriff, wobei die ältesten und somit tieferen Schichten nicht nur auf das höhere Alter (Im Sinne von Erinnerungen) verwiesen, sondern die Tiefe als Erklärung diente um Bewusste gesteuerte Vorgänge von unbewussten Handlungen (welche in der Tiefe des Bewusstseins verborgen liegen) abgrenzen zu können.
Der Nährboden für das auf einem linearen Fortschrittsglauben basierende, und mit biologistisch-populärdarwinistischen Ansätzen angereicherte Verständnis von gesellschaftlicher Dynamik und Entwicklung zu dieser Zeit, wurde mit Hinweis auf die Archäologie legitimiert und etabliert und auch durch diese hinreichend und bereitwillig mit Motiven und Bildern versorgt.[4] Die Motive und Bilder hatten eine prosoziale, gesellschaftlich integrierende Funktion und wurden meist eingesetzt um die Ideologie der herrschenden zu festigen.
Die Archäologie hat also, ebenso wie das Computerspiel(en), einen prosozialen, stabilisierenden Charakter. Bzw. kann das Computerspiel und dessen intensive Bilderwelt im Sinne einer herrschenden Ideologie bewusst so angelegt sein (wie z.B. Ego Shooter welche direkt von dem US-Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben werden und u.a. zur Rekrutierung des Nachwuchses eingesetzt werden)oder als Spiegelbild gängiger Werte und Moralvorstellungen dieser Zeit (je nach Verbreitung / Bekanntheitsgrad)Auskunft über die Befindlichkeit und Vorstellungen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe (für die es Produziert wird)oder auch nur Auskunft über die Ansichten des Programmierers/ Game Designers (welcher auch innerhalb seiner Sozialisation geprägt wurde und somit wieder repräsentativ ist)geben kann. Innerhalb der Geistes und Kulturwissenschaften haben innerfachliche Reflexionen inzwischen ihren festen Platz und sind Teil eines kritischen Selbstverständnisses welches selbstredend für das Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht vorausgesetzt werden kann.
Man muss aber eingestehen, dass die Altertumswissenschaften und deren differenzierte bzw. vorsichtig realistische Sichtweise auf Vergangenes, nicht den nötigen Einfluss gegenüber der Kulturindustrie und hinsichtlich der Vermarktung von Vergangenem geltend machen kann. Es gibt bereits Arbeiten welche Populärwissenschaftliche Magazine und den Bereich Trivialkultur, bestehend aus Romanen und Filmen auf archäologische Thematik und Motive hin untersucht haben. Für den Bereich der Computerspiele besteht allerdings durchaus noch Handlungsbedarf, zumal diese populären Geschichtsbilder wahrscheinlich viel stärkeren Einfluss auf allgemein verbreitete Geschichtsvorstellungen als die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft.
[1] HyperkultX, Spiel-Welten, Theorien, Regeln Interfaces, Lüneburg 2001
[3] Die unmittelbare Vorlage der Schichten der Psyche stellen die Schichten Trojas dar. Die Anordnung, welche FREUD in dem “Diagramm der aufeinanderfolgenden Trümmerschichten auf dem Hügel Hissarlik” vorfindet, wird von ihm auf die menschliche Psyche übertragen.
[4] Ickerodt, 2002