Archäologie und Spurensuche

Die jüngere Diskussion geht zurück auf einen Beitrag von Carlo Ginzburg aus dem Jahre 1995, welcher jedoch bloß ein „refresh“ seines in den späten 1970er Jahren (vgl. Ginzburg 1995) erstmals publizierten Artikels ist. Die Archäologie wird hier auf als eine Wissenschaft der „Spurensuche” charakterisiert. Weiter handelt es sich hierbei um ein „Indizienparadigma“ welches vielen Wissenschaften zu Eigen scheint. Ausgehend von der Tatsache, dass man es wie in der Archäologie stets mit Fragmenten, mit Spuren zu tun hat, wird ein Bogen gespannt von der Kunstwissenschaft zur Kriminalistik und Psychoanalyse. Eine Verwandtschaft zwischen Archäologie und Kriminalistik stellten auch Ziegert und Gründel (Ziegert 1983) her. Der Vergangenheit muss man auf die Spur kommen. Bei den Spuren handelt es sich um konkrete, beobachtbare Fakten. Materielle Hinterlassenschaften werden gedeutet um sich vergangene Handlungen zu erschließen. Ginzburg stellt die These auf das den Humanwissenschaften seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert ein Indizienparadigma innewohnt und dieses grundsätzlich auf menschliche Verhaltensmuster zurückgeht welches bis in die Vorzeit der Jäger und Sammler Kulturen zurückreicht.Die Nähe zwischen Psychoanalyse und analytischer Archäologie wurde durch Freud selbst bekräftigt (vgl. Freud 1950, S.217).

Holtorf entlarvt  das Spurensucheparadigma in dem er zeigt, dass es sich nur um eine Karikatur von Wissenschaft handelt [1]Die Archäologie ist keine Indizienwissenschaft, da es sich bei der Spurensicherung nur um einen Teilaspekt der Arbeit handelt. Die Interpretation vor dem Hintergrund möglicher Fragestellungen wird außer Acht gelassen. Funde und Tatorte sprechen nicht für sich.Wichtig sei die Fähigkeit, Hypothesen zu kommunizieren und argumentativ zu überzeugen (vgl. Holtorf 2001a, S.339). Bei Kriminalistik, Archäologie und Psychoanalyse geht es jeweils um die Rekonstruktion einer plausiblen Vergangenheit mittels Interpretation.

Die Archäologie selbst hat im Laufe ihrer Geschichte unzählige Vergangenheiten erschaffen.Es handelt sich um einen permanenten Prozess. Es wird versucht die Vergangenheit mit den Mitteln der Archäologie zu verstehen. Dabei sagt dieser Prozess ebenso viel aus über die Befindlichkeiten des Fragestellers wie über die zu erforschende Vergangenheit. Der Weg lässt sich quasi zurückverfolgen zum Absender. Neuschöpfungen von Vergangenheit sind also an sich schon Referenz und Zeugnis der Gegenwart.Historisches Bewusstsein schafft Identifikations- und Bezugspunkte und wirkt als Konstante in einer sich wandelnden Gegenwart. Gerade die Masse an Veränderungen durch den technischen Fortschritt stärkt das Bedürfnis der Menschen sich selbst zu finden, auch durch Interaktion mit einer hypothetischen Vergangenheit.

 In diesem Sinn ist die ›Spurensicherung‹ nicht fiktive Archäologie, sondern Archäologie fiktive Spurensicherung, die vergangene Wirklichkeiten erst erschafft“…“in diesem Sinne hoffe ich, dass sich Archäologen nicht im semiotischen Dschungel der Spuren und Botschaften verfangen, aus dem sie am Ende nicht mehr herausfinden könnten, sondern dass sie – wie die Künstler der ›Spurensicherung‹ – die Vergangenheit und ihre materiellen Spuren und Reste kreativ und einsichtsvoll in unserer Gegenwart leuchten lassen.“  (Holtorf 2001a, S. 340-341)

 Computerspiele wie „The Elder Scrolls V: Skyrim“ oder „Civilization 5“ sind das Ergebnis eines kreativen Prozesses, welcher historische Ereignisse neu interpretiert und transformiert. Die Teilhabe an und das Erleben dieser neu-Interpretationen ist Teil eines archäologischen Erinnerns, Teil der archäologischen Praxis des Verstehens und Erschaffens. Fiktion (auch wenn es sich um ein wissenschaftliches Fundament handelt) ist schon immer Teil der Archäologie gewesen. Fiktion ist auch Unterhaltung und Inspiration. Es hat also nichts Pseudowissenschaftliches sich als Archäologe mit den Unterhaltungsmedien zu beschäftigen. Ich verstehe es im Gegenteil als Aufgabe der Archäologe sich dieses Mediums zu bemächtigen um auch in Zukunft Geschichten über die Vergangenheit erzählen zu können.

Gerade wenn es sich um Spielumgebungen handelt die auf archäologischen Daten beruhen und unter Umständen sogar zu neuen Erkenntnissen führen können.Spiele wie „The Elder Scrolls V: Skyrim“ ermöglichen es auf Grund des Anspruches eine Welt zu simulieren, sich diese durch archäologische Interpretation auf Basis der ihr innewohnender Materialität zu erschließen.Der Spieler muss die Welt verstehen, und er tut dies zum größten Teil durch sammeln, archivieren, kombinieren und interpretieren von Zeugnissen dieser „virtuellen Materialität“. Wer verloren und ohne Ziel in der Spielwelt umherirrt, wird niemals das Ende des Spiels erreichen.

In dem Sinne in dem Holtorf Archäologie als eine Anhäufung von Kommentaren zur Vergangenheit versteht (vgl. 2004, S.16), handelt es sich bei Computerspielen ebenso um Meta-Kommentare der Designer als auch um einen Handlungsort, welcher Einsicht in archäologische Arbeitsweisen geben kann. Ob man sich anhand der realen materiellen Überreste mit einer Vergangenheit auseinandersetzt oder dies im fiktiven Rahmen eines Computerspiels stattfindet verändert nicht den Prozess. Virtuelle Ruinen repräsentieren ihre realen Vorbilder und stehen ihnen in nichts nach. Virtuelle Artefakte repräsentieren auch die bereits geborgenen materiellen Überreste unserer Gegenwart.

„Anders ausgedrückt heißt das, dass die Archäologie nicht deshalb für unsere Zeit Bedeutung hat, weil sie bestimmte Einsichten über die Vergangenheit liefert, sondern weil der Prozess des archäologischen Arbeitens selbst bedeutungsvoll ist“… „Es trifft aber auch auf das Laienpublikum zu, dessen Begeisterung für archäologisches Suchen und Entdecken vielleicht sein eigenes Bedürfnis nach Standortvergewisserung zum Ausdruck bringt.“

(Holtorf 2004, S.21)

Interessant wird es auch wenn es sich um rein prozedural generierte Spielwelten handelt (wie im Falle des angekündigten Sci-Fi Titels „No man’s Sky“), deren bloßer Rahmen durch die Hand eines Menschen algorhitmisiert wurde. Wie generiert der Code eine glaubhafte Welt, ein ganzes Universum bestehend aus zahlreichen computergenerierten  Galaxien welche Spuren zahlreichen Lebens enthalten sollen. Fremde und untergegangene Kulturen deren Heimatplaneten erforscht werden wollen. Was werden wir daraus Lernen? Schafft es der Algorithmus eine stimmige Welt zu generieren die sich glaubhaft anfühlt und zum erforschen motiviert?  Wo liegen ggf. die Unterschiede? Gibt es Dynamiken und wiederkehrende Muster welche nicht vordefiniert sind und sich im virtuellen konstituieren? Lernen wir über Kultur und lesen menschenähnliche Spuren oder nähern wir uns der Maschine an und erlangen Erkenntnisse über die  Informatik selbst?

No man’s Sky (Hello Games)

Auch nicht vergessen sollte man die zahlreichen auf Realismus bedachten Modifikationen, z.B.  für Skyrim oder „Civilization 5“. Die mühevolle Handarbeit und Recherche lassen einen über das Spiel hinausgehenden Bedeutungs- und Betätigungshorizont erkennen. Dadurch, dass die Downloads kostenlos Angeboten werden lässt sich so eine Umgebung nach Maß und Wunsch erstellen. Die Schöpfer dieser Modifikationen betätigen sich in ihrer Freizeit im Sinne eines Hobbys. Auf Grund der Art der Distribution unterscheiden sich die „Modder” jedoch in einem wichtigen Punkt von z.B. einer Modelleisenbahnlandschaft im eigenen Keller. Diese Elemente bleiben nutzbar, für jeden der es möchte.Historiker oder Archäologen die aus was für Gründen auch immer Virtuelle Eindrücke unserer Vergangenheit vermitteln möchten haben ebenso Zugriff auf diese Techniken und die Vorarbeit die geleistet wurde. Zu einem kleinen Teil handelt es sich also um „Citizen-Science“.

[1]  „Es werden keine wirklichen Aussagen über irgendeine tatsächliche Gegenwart oder Vergangenheit gemacht. Stattdessen wird auf etwas anarchistische Weise die Methode karikiert, mit deren Hilfe scheinbar absolutes Wissen gewonnen wird – Wissen, das den Kunstfälscher entlarven, den Mörder überführen, den Patienten heilen und die Vergangenheit zum sprechen bringen kann.“ (Holtorf 2001a S.338)